Physik: Karlsruher Forscher melden Durchbruch mit Neutrino-Waage | SÜDKURIER

2022-06-30 07:37:40 By : Mr. Aries Gu

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Neutrinos sind faszinierende Elementarteilchen, vielleicht sogar die merkwürdigsten im ganzen Universum. Mühelos durchqueren sie ganze Planeten und so auch den menschlichen Körper. Pro Sekunde rasen mehrere zehn Milliarden davon durch eine Fläche so groß wie der Daumennagel, ohne dass man etwas bemerkt.

Die Neutrinos sind elektrisch neutral und haben eine extrem geringe Masse. Neutrinos ist so winzig klein, dass ihr Gewicht bisher nicht genau angegeben werden konnte und nur grobe Schätzungen existierten. Nun haben Physiker die Obergrenze drastisch nach unten korrigiert: Neutrinos wiegen weniger als 1,4 mal 10 hoch minus 36 Kilogramm.

Über Einsteins berühmte Formel E = mc2 lässt sich das in die bevorzugte Einheit der Teilchenphysik umrechnen. Demnach ist die Neutrinomasse kleiner als 0,8 Elektronenvolt (eV). Das berichtet das Karlsruher „Katrin“-Team (Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment) jetzt im Fachmagazin „Nature Physics“.

Wer ein Gewicht messen will, muss dazu eine Waage haben. Die hat man in Karlsruhe gebaut. Herzstück der Neutrino-Waage ist ein Vakuumtank mit 24 Metern Länge und 10 Metern Durchmesser, der im bayerischen Deggendorf gefertigt wurde. Ein Lkw-Transport für den Trumm war unmöglich, daher wurde er per Schiff über Donau, Schwarzes Meer, Mittelmeer, Atlantik und den Rhein hinauf nach Leopoldshafen bei Karlsruhe gebracht.

Die letzten sieben Kilometer ging es 2006 mit einem spektakulären Schwertransport über enge Straßen bis ans Ziel. Seit 2018 laufen die Messungen. Sie basieren auf Tritium, ein besonders schweres Wasserstoffisotop. Das ist radioaktiv und zerfällt in ein Elektron und ein Neutrino. Mit Katrin soll sehr präzise ermittelt werden, wie sich die Energieanteile auf die beiden Elementarteilchen verteilen, um so die Masse des Neutrinos zu berechnen.

Frühere Experimente hatten als Höchstmasse 2 Elektronenvolt geliefert, erste Daten von Katrin hatten den Wert bereits auf gut 1 eV nach unten korrigiert. Nun sind sich die Forscher zu 90 Prozent sicher, dass es höchstens 0,8 eV sind. Für die Astroteilchenphysik sind diese Resultate sehr bedeutsam, wie Magnus Schlösser vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), einer der Leitautoren der Publikation, erläutert. Denn die Neutrinos werden mit der geheimnisvollen, bisher unerforschten Dunklen Materia im Kosmos in Zusammenhang gebracht.

Doch jetzt ist dieser Theorie fast der Boden entzogen. „Es wird immer klarer, dass die leichten Neutrinos keinen wirklichen Anteil an der Dunklen Materien haben können, obwohl sie die notwendigen Eigenschaften mitbringen. Es müssen also andere Kandidaten gesucht werden“, sagt Magnus Schlösser.

Zudem gebe es weitere, komplementäre Methoden, um die Neutrinomasse zu messen, etwa aus astronomischen Beobachtungen der Mikrowellenhintergrundstrahlung oder der Anordnung von Galaxien im Universum. „Hierbei muss man aber anders als bei Katrin Annahmen über das kosmologische Modell und die Neutrino-Eigenschaften machen“, sagt Forscher Schlösser. „Durch unsere Ergebnisse werden Kosmologen somit alternativen Modelle auf Plausibilität überprüfen, gegebenenfalls anpassen oder ausschließen.“

Trotz aller Sorgfalt des Katrin-Teams müssen deren Ergebnisse von weiteren Experimenten bestätigt werden. Darauf weist Angelo Nucciotti von der Universität Mailand hin. Er selbst ist an einem solchen Vorhaben beteiligt, gibt aber zu: „Es wird Jahre dauern bis diese neuen Experimente das tiefe Verständnis von Unsicherheiten erreichen, die die Katrin-Kollaboration schon heute hat“.

Bis 2024 soll in Karlsruhe weiter gemessen werden, um noch empfindlicher für geringe Neutrinomassen zu werden. Zudem wird ein Detektorsystem entwickelt, um ab 2025 „sterile“ Neutrinos zu suchen. Dies sind bislang hypothetische Partikel, die ebenfalls als Kandidaten für die mysteriöse Dunkle Materie gelten. Womöglich liefert Katrin das, was Physiker bislang vergeblich suchen: eine gravierende Schwachstelle des Standardmodells der Teilchenphysik. Sie kann den Forschern neue Wege weisen, um das Universum und seinen Aufbau besser zu verstehen.

Die Meldung aus Karlsruhe ist international mit Beifell aufgenommen worden: „Die Teilchenphysik-Gemeinschaft ist begeistert, dass die 1-eV-Barriere von Katrin durchbrochen wurde“, sagte der Neutrino-Experte John Wilkerson von der Universität von North Carolina in Chapel Hill.

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